Spätestens seit dem Abgasskandal um die Diesel-PKWs verschiedener Hersteller ist die urbane Luftqualität in das Bewusstsein vieler gerückt und im Zusammenhang mit der Covid-19 Pandemie wird auch Luftverschmutzung unter neuen Aspekten diskutiert.
Gleichzeitig ist das Angebot von Geräten zur Messung verschiedener Luftschadstoffe sehr groß und auch unübersichtlich, besonders im Bereich der preiswerten Lösungen. Dabei ist es nicht leicht, den Überblick zu behalten und zu erkennen, ob es sich um ein Produkt handelt, dass den beabsichtigten Zweck erfüllen kann.
Bei Hawa Dawa produzieren wir seit einigen Jahren selbst ein Messgerät und System zur flächendeckenden Luftqualitätsmessung. Die Entwicklung unseres Messgeräts „Sentience“ war getrieben von dem Anspruch, durch den Einsatz neuer Technologien ein verlässliches Gerät zu einem Preis zur Verfügung zu stellen, der eine breite und engmaschige Abdeckung auch möglich macht.
Wir möchten im Folgenden versuchen, die technische Komplexität von Luft-Schadstoffmessung einfach darzustellen und darauf aufbauend Hinweise zu geben, welche Grenzen die einzelnen Geräte und Methoden haben. Wer es nicht aushält, findet einen Link zum Download einer kurzen Checkliste am Ende des Artikels.
Mit diesem Text wollen wir niemanden gezielt diskreditieren oder Vorsatz der Falschinformation unterstellen. Luftqualitätssensorik ist komplex und die Mechanismen vielschichtig.
Die wichtigsten Sensortypen und Eigenschaften
Hier sollen die wichtigsten Sensortypen, die in den verschiedenen Geräten stecken, bewusst unwissenschaftlich erklärt und ihre bestimmenden Eigenschaften vorgestellt werden.
Feinstaubmessung durch Lichtstreuung
Sensoren, die nach diesem Prinzip arbeiten finden sich sowohl in sehr genauen Messgeräten, die von den Messstellen mancher Bundesländer eingesetzt werden, als auch in extrem günstigen Geräten. Das zugrundeliegende Prinzip ist identisch.
Luft wird an einer Lichtquelle (z.B. Led, Laserdiode) vorbeigeleitet, wobei Partikel das Licht abhängig von ihrer Größe und Beschaffenheit reflektieren. Ein Lichtsensor registriert diese kurzen Lichtblitze, zählt sie und schätzt die Größe anhand der Menge des reflektierten Lichts. Problematisch für die Genauigkeit sind besonders die nachfolgend beschriebenen Faktoren. Die Methoden wie bzw. ob diese Einflüsse berücksichtigt werden, haben maßgebliche Auswirkung auf die tatsächliche Qualität der Messung und erklären auch die Preisunterschiede der Geräte.
Einfluss der Luftfeuchtigkeit
Bei hoher Luftfeuchtigkeit heftet sich Wasser aus der Luft gerne an Feinstaubpartikel, die für den Lichtsensor dadurch anders aussehen und folglich ggf. gar nicht mehr als < 10 µm, also nicht mehr als Feinstaub interpretiert werden. Identische Feinstaubbelastung bei unterschiedlicher Luftfeuchtigkeit liefert also nicht vergleichbare Ergebnisse. Steigt die relative Luftfeuchtigkeit auf sehr hohe Werte, so kann es sein, dass der Sensor feinste Wassertropfen in der Luft mit Staubpartikeln verwechselt und grob verfälschte Werte ausgibt.
Teure und hochwertige Messgeräte begegnen diesem Problem, indem sie die Luft vorbehandeln, bevor sie in die Messkammer geleitet wird. Beispielsweise durch Aufheizen der Luft (dadurch sinkt die relative Luftfeuchtigkeit), Trocknen der Luft durch Diffusionstrockner oder das Einstellen einer konstanten Luftfeuchtigkeit durch spezielle Chemikalien.
Ein anderer Ansatz ist, parallel die Luftfeuchtigkeit zu messen, um ihren Einfluss rückzurechnen. Die Qualität der auf diese Weise kalibrierten Daten hängt dabei unmittelbar vom eingesetzten Kalibrierungsalgorithmus ab. Selbstlernende Algorithmen, die sich über die Zeit selbst weiterentwickeln haben hier klare Vorteile.
Sehr günstige Geräte ignorieren diesen Einfluss und geben die gemessenen Daten ohne Berücksichtigung der Luftfeuchte aus. Diese Daten können dann zwangsläufig nicht verglichen werden, wenn sie zu unterschiedlichen Terminen also nicht zu identischen Witterungsbedingungen gemessen wurden.
Einfluss der Temperatur
Alle Geräte – auch die günstigsten Feinstaubsensoren – enthalten einen kleinen Mikrocontroller, der vom Hersteller definierte Kalibrier- und Schwellwerte für das Signal des internen Lichtsensors anwenden. Da die Empfindlichkeit dieses Lichtsensors temperaturabhängig ist, steigt die Fehlerrate außerhalb eines bestimmten Temperaturbereichs stark an. Unsere Tests an einer Reihe von Sensoren haben gezeigt, dass die Genauigkeit zwischen -10°C und +25°C annähernd konstant ist, dann jedoch exponentiell fällt. Hersteller von höherwertigen Messgeräten begegnen dieser Tatsache durch geschickte Konstruktion des Gehäuses, die Empfehlungen für die Wahl des Standorts, ggf. Kühl- und Kalibrierungsmaßnahmen. Ohne entsprechende Maßnahmen muss sich der Anwender bewusst sein, dass er nur innerhalb eines z.T. nicht spezifizierten Temperaturbereichs aussagefähige Werte erhält
Einfluss der Durchflussmenge
Der Sensor zählt die Menge der reflektierten Lichtblitze (also der Staubpartikel) über eine gewisse Zeitdauer hinweg. Wie viel Luft während dieser Zeit hindurchgeströmt ist, erkennt der Sensor nicht. Folglich muss, der Luftstrom immer gleich stark sein, um eine gute Genauigkeit zu erreichen.
Hochwertige Geräte lösen dies durch das kontrollierte Ansaugen einer definierten Luftmenge. Günstige Sensoren besitzen einen kleinen Ventilator. Bei Letzteren entstehen schnell große Abweichungen, z.B. durch Schmutz, der sich im Gehäuse absetzt oder feinste Unterschiede in der Spannungsversorgung des Geräts, die den Lüfter in anderer Geschwindigkeit drehen.
Die günstigste Variante verwendet einen beheizten elektrischen Widerstand, um durch Konvektion einen Luftstrom im Gerät zu erzeugen. Diesen Sensoren sind extrem empfindlich, da sie auf kleinste Luftbewegungen reagieren. Für Außenanwendungen sind sie daher nicht geeignet.
Einfluss der Kalibrierung vor Ort
Feinstaub ist nicht gleich Feinstaub. Je nach Ort, kann er sich in seiner Zusammensetzung stark unterscheiden. Sind in europäischen Städten Rußpartikel oder Reifenabrieb dominierend, können in anderen Gegenden Wüstenstaub oder feinste Salzpartikel den Löwenanteil ausmachen. Auch die Größenverteilungen (die Verhältnisse von PM10, PM2.5 usw.) können sich stark unterscheiden
Da der Lichtsensor in Lichtstreuungs-Sensoren auf die unterschiedlichen Arten und Größenverhältnisse der Partikel nicht immer gleich reagiert, muss eine Kalibrierung mit einem hochwertigen Messgerät unter vergleichbaren Umgebungsbedingungen zum endgültigen Einsatzort durchgeführt werden. „Vorkalibrierte“ Module ohne einer in situ Kalibrierung können der ortspezifischen Zusammensetzung der Feinstaubpartikel nicht Rechnung tragen und daher keine objektiv vergleichbaren Werte liefern.
Fazit für Feinstaubmessungen:
Diese Maßnahmen um die eigentliche Messkammer herum sind ein wesentlicher Grund, warum hochwertige Feinstaubsensoren ihren Preis haben. Es gibt Möglichkeiten, durch den Einsatz neuer Technologien wie Künstlicher Intelligenz und Maschinellen Lernen, kostengünstiger zuverlässigen Messergebnissen zu erhalten. Ganz ohne diese „Verbesserungsmaßnahmen“ ist Feinstaubmessung durch Lichtstreuung kritisch zu sehen und es muss geprüft werden, ob die Messungen für den geplanten Zweck wirklich geeignet sind.
Mit diesem Wissen kann man anhand des Preises, der Leistungsaufnahme, der Größe und Gestaltung eines Gerätes recht zuverlässig beurteilen, ob die Angaben des Herstellers glaubwürdig sind oder nicht. Wir verweisen hier auf unsere Checkliste.
Gasmessung
Im niedrigen Preissegment sind vor allem zwei Arten von Sensoren zur Gasmessung relevant: Metalloxid-Halbleitersensoren (MOX) und elektrochemische Sensoren. Andere Sensortypen (PID, thermoakustische Sensoren usw.) sind aus Kostengründen meist nur in teueren Messvorrichtungen im Einsatz und sollen deshalb an dieser Stelle ausgeklammert werden.
MOX Sensoren
MOX Sensoren bestehen vereinfacht gesagt aus einer dünnen Schicht, die im Kontakt mit der Luft ihren elektrischen Widerstand abhängig von der Konzentration verschiedener Gase verändert. Unterschiedliche Typen dieser Schichten reagieren besonders empfindlich auf einzelne Gase, wodurch für eine Vielzahl von MOX Sensoren für verschiedenste Gase möglich ist. Sensoren dieses Typs können sehr günstig hergestellt werden und sind ab ca. 1€ erhältlich.
MOX Sensoren können sehr empfindlich und genau sein, jedoch „altern“ sie, d.h. das Signal nimmt über die Zeit kontinuierlich ab, bedingt durch eine ganze Reihe schwer zu kontrollierenden Faktoren. Folglich kann man mit MOX Sensoren sehr gut sprunghafte Anstiege einer Gaskonzentration detektieren, tut sich mit dem Messen eines Grundwertes aber aufgrund der Alterungsprozesse sehr schwer. Als Messkurve über die Zeit vorgestellt, sieht man kleine Konzentrationsänderungen sofort, hat aber wenig Information über die Beschriftung der Wert-Achse. In der Konsequenz werden MOX Sensoren verbreitet dazu eingesetzt, Feuer oder Gaslecks zu detektieren. Will man mit ihnen Gaskonzentrationen quantitativ erfassen, muss man das Gerät im Wochen- oder Monatsabstand manuell mit einer bekannten Gaskonzentration neu kalibrieren.
Besonders für die Messung von Luftqualität im Innenraum werden diese Sensoren gerne eingesetzt. Da mit Ihnen langfristig für die meisten Gase keine zuverlässigen Werte gemessen werden können, Erfinden die Hersteller gern eigene Metriken („grün/gelb/rot“) statt Angaben zur tatsächlichen Konzentration zu machen.
Sensoren für VOCs, CO2 und „Luftqualität“
VOCs (Volatile Organic Compounds: flüchtige organische Verbindungen) bezeichnen eine große Gruppe chemischer Stoffe, die Alkohole, Lösungsmittel usw. beinhaltet. Sie können mit speziellen MOX Sensoren ausgezeichnet detektiert werden. VOCs werden z.B. von neuen Teppichen, Bodenbelägen ausgedünstet, entstehen beim Kochen oder allein dadurch, dass ein Mensch atmet. VOCs sind besonders im Innenraum relevant und können gesundheitsschädlich sein. Die entsprechenden Sensoren sind nicht in der Lage zu unterschieden, welcher Stoff aus der Klasse der VOCs denn genau vorliegt.
Da der Nachweis der Konzentration von VOCs sehr einfach und kostengünstig funktioniert, werden sie gerne von Geräten genutzt, die allgemein die „Luftqualität“ messen. Da die verschiedenen VOCs sich in ihrer Gefährlichkeit stark voneinander unterscheiden, kann eine solche Messung als Hinweis gelten, das Fenster zu öffnen, aber kein verlässlicher Wert für eine nachhaltige Reaktion sein.
Entsprechendes gilt für sehr preiswerte CO2 Sensoren: sie können in Wirklichkeit gar kein CO2 messen, sondern nur VOCs. Da durch atmende Menschen die VOC Konzentration in geschlossenen Räumen langsam ansteigt, kann basierend auf dieser eine CO2 Konzentration geschätzt werden.
Elektrochemische Gassensoren
Elektrochemische Gassensoren kann man sich wie eine Batterie vorstellen, bei der eine Komponente der Reaktionspartner das zu messende Gas ist. Bei Anwesenheit des Zielgases entsteht in der elektrochemischen Zelle des Sensors ein zur Gaskonzentration proportionaler Strom, der gemessen wird. Je höher die Gaskonzentration, desto größer der Strom. Durch die Kombination unterschiedlicher Metalle und Elektrolyte können Sensoren für unterschiedliche Gase konstruiert werden.
Elektrochemische Sensoren haben den Vorteil, recht exakte Absolutwerte geben zu können. D.h. man kann nicht nur Veränderungen der Gaskonzentration detektieren (wie bei MOX Sensoren), sondern auch einen absoluten Zahlenwert der Konzentration bestimmen. Elektrochemische Sensoren müssen dennoch in regelmäßigen Abständen neu kalibriert werden, ca. alle 6-12 Monate.
Wegen der recht geringen Anteile von z.B. NO2 in verschmutzter Außenluft (einige wenige Milliardstel!) sind die resultierenden Ströme dieser Sensoren außerordentlich klein. Um daraus dennoch nutzbare Signale zu erzeugen, ist eine komplexe Elektronik sowie viel Knowhow bei Gehäusegestaltung nötig, um die nötige Abschirmung zu gewährleisten. Ansonsten kann es schnell sein, dass eine Person, die in einigen Metern Entfernung mit dem Handy telefoniert ein stärkeres Signal im Gerät erzeugt, als das Gas, das man eigentlich messen möchte.
Auch der Einfluss der Temperatur ist gravierend. Eine Erhöhung der Temperatur um 0,4°C entspricht etwa dem Signal, das bei Stickoxid zwischen sauberer und verschmutzter Luft unterscheidet. Daher können nur Geräte, die Temperaturveränderungen berücksichtigen, anhand dieser Messmethode verlässliche Daten bereitstellen.
Messumgebung
Indoormessungen
Die Bedingungen der Luftqualität im inneren von Gebäuden unterscheiden sich stark von denen im Außenbereich, wobei die Luft in Wohnungen stärker belastet sein kann als draußen. Vorrangige Schadstoffe sind VOCs. Sie werden von Farben, Kunststoffen, Teppichen, Bodenbelägen usw. ausgedünstet oder entstehen beim Braten von Nahrung. Auch jeder Mensch ist durch natürliche Stoffwechselprozesse eine VOC Quelle und setzt sie über die Atmung sowie die Haut frei.
Auch Feinstaub kann im Innenbereich schnell gesundheitsschädliche Werte erreichen. Rußende Kerzen seien hier als stark unterschätztes Beispiel genannt.
Die Umweltbedingungen (also Luftfeuchtigkeit, Temperatur usw.) sind im Innenbereich vergleichsweise konstant. Damit gestalten sich die mit ihnen zusammenhängenden Herausforderungen an die Sensorik gering, und man kann auch mit vergleichsweise einfachen Geräten und günstiger Sensorik sinnvolle Ergebnisse erzielen. Uns sind eine ganze Reihe potentiell guter Geräte bekannt, teilweise bieten sie sogar Schnittstellen zur Produkten im Bereich Home Automation.
Outdoormessungen
Luftqualitätsmessung im Außenbereich ist die Königsdisziplin der Luftqualitätssensorik. Zum einen ist der Einfluss von Umgebungsbedingungen wie Temperatur, Luftfeuchtigkeit, Sonneneinstrahlung etc. teils extrem, gleichzeitig ist die Konzentration von Schadstoffen i.d.R. sehr gering. D.h. obwohl die Geräte starken Störungseinflüssen ausgesetzt sind, muss besonders exakt gemessen werden. Besonders die Gase NO2, CO, O3 sowie Feinstaub sind in europäischen Städten hier besonders von Interesse.
Zusätzliche Anforderungen wie Autarkie in der Stromversorgung, ein Gehäuse, das auch mal einem Schneeball widersteht, sowie Normenkonformität für Elektronik im Außenbereich stellen besondere Herausforderungen an die Entwicklung.
Geräte zur Messung im Außenbereich sind i.d.R. deutlich größer und robuster ausgeführt. Als Schnittstelle nach außen sind zusätzlich Funkmodule und kabelgebundene Schnittstellen nach industriellen Standards verfügbar.
Eine Checkliste, die die wichtigsten Qualitätsmerkmale zusammenfasst, kann hier [Checkliste] heruntergeladen werden