Umweltsensitives Verkehrsmanagement
Interview mit Frank Felten und Matthew Fullerton
Dem Verkehr kommt bei den Bemühungen um eine bessere Luftqualität eine Schlüsselrolle zu. In unserem Interview mit Frank Felten, Chief Product Officer bei Hawa Dawa, und Matt Fullerton, Chief Technical Officer für Software & Hardware bei Hawa Dawa, beleuchten wir diesen Zusammenhang. Welche Ansätze gibt es? Was ist kritisch? Welche Hürden gilt es zu überwinden?
Verkehr und Umwelt werden oft in einem Atemzug genannt. Woher kommt das?
Matt:
Im Gegensatz zu Luftschadstoffen ist Verkehr unmittelbar „sichtbar“. So wird sie direkt wahrgenommen. Staus werden heute von vielen Bürgern mit Zeitverlust und Umweltproblemen gleichgesetzt. Der Zusammenhang zwischen „Luftqualität und Verkehr“ hat die Gesellschaft (und die Politik) erreicht.
Die Umweltauswirkungen des Verkehrs in städtischen Gebieten sind besonders groß. Hier ist nicht nur das Verkehrsaufkommen hoch. Darüber hinaus führt die Gebäudestruktur oft zu Engpässen und behindert den Luftaustausch. Dies wird sich in Zukunft aufgrund der zunehmenden Verstädterung noch verschärfen.
Auch wenn Elektroantriebe sicherlich dazu beitragen, die Stickstoffdioxidbelastung zu reduzieren, führt das höhere Gewicht dieser Fahrzeuge zu einem höheren Abrieb der Reifen auf der Fahrbahn, was wiederum die Feinstaubbelastung erhöht.
Frank:
Nach Angaben des Umweltbundesamtes (UBA) sind etwa 40 % der Stickstoffdioxidbelastung, in stark belasteten Städten sogar bis zu 60 %, auf den Straßenverkehr zurückzuführen. Wir kennen die Diskussion aus den Medien, die diese oft auf einige der „schlimmsten Brennpunkte“ in Deutschland beziehen: Stuttgart Neckartor, München Landshuter Allee, Stresemannstraße in Hamburg, Theodor-Heuß-Allee in Kiel.
Bei Feinstaub ist der Anteil des Verkehrs geringer (laut UBA im Durchschnitt weniger als 30 %) – hier stammt der Löwenanteil aus Produktionsprozessen, und auch die privaten Haushalte (Heizung) haben einen erheblichen Anteil.
Feinstaub im Straßenverkehr ist das Ergebnis von Bremsvorgängen und Reifenverschleiß.
Stickstoffdioxid ist bekanntlich das Produkt herkömmlicher Verbrennungsmotoren.
Natürlich hat der technische Fortschritt in den letzten Jahren dazu geführt, dass weniger Stickstoffdioxid „pro Pferdestärke“ ausgestoßen wird. Elektrifizierung mit Ökostrom hilft zumindest bei den Stickoxiden. Doch die stetige Zunahme von Fahrzeugen, gefahrenen Kilometern und verursachten Staukilometern hat diese Erfolge mehr als kompensiert: Die Bilanz des Verkehrssektors bei Klimagasen und Luftschadstoffen hat sich seit 1990 nicht verbessert.Stickstoffdioxid ist bekanntlich das Produkt herkömmlicher Verbrennungsmotoren.
Was bedeutet „umweltbewusstes Verkehrsmanagement“?
Frank:
Nun, ich habe in meinem Studium gelernt, dass Verkehr einerseits „geplant“ und andererseits „gesteuert“ wird:
Die Verkehrsplaner befassen sich eher mit mittelfristigen Fragen, häufig mit der Infrastruktur: Wie kann ein (Bau-/Wohn-/Industrie-)Gebiet verkehrstechnisch erschlossen werden, wo und wie viele Straßen, Schienen und Wege können gebaut werden usw. – In der Planung geht es vor allem um die Frage, wie man die Nachfrage nach Verkehrsleistungen und Mobilität erfasst und dann ein entsprechendes Verkehrsangebot schafft.
Das Verkehrsmanagement ist viel kurzfristiger ausgerichtet. Hier steht das Verkehrsangebot im Wesentlichen zur Verfügung, und die Aufgabe besteht darin, alle Verkehrsteilnehmer und Verkehrsmittel möglichst optimal in das Netz der Möglichkeiten einzuplanen. Neu und „umweltsensibel“ ist, dass die Optimierung nicht mehr nur als Verbesserung der Reisezeiten oder des Durchsatzes im Netz verstanden wird, sondern gleichzeitig darauf abzielt, negative Umweltauswirkungen (Luftschadstoffe, CO2, Lärm usw.) zu verringern oder zumindest besser zu verteilen.
Matt:
Unter dem Gesichtspunkt der Umweltsensibilität darf Verkehrsmanagement nicht mit der Optimierung des Straßen- oder Fahrzeugverkehrs gleichgesetzt werden. Damit bliebe zu viel Potenzial ungenutzt, da die Schadstoffemissionen oft nur zeitlich oder räumlich umverteilt werden. Die Optimierung der intermodalen Zusammensetzung der individuellen Mobilität muss das Ziel sein. Das bedeutet, dass das Verkehrsmanagement alle Mobilitätsoptionen einbezieht – vom Pkw bis hin zu E-Bikes oder Fußgängerwegen.
Rahmenbedingungen oder Anreize sind häufig durch ordnungspolitische Maßnahmen zu schaffen (z. B. Parkgebühren, City-Maut, ermäßigte Fahrkarten für öffentliche Verkehrsmittel).
Was ist erforderlich, um ein umweltbewusstes Verkehrsmanagement erfolgreich umzusetzen?
Frank:
Aus rein technischer Sicht werden Messgeräte/Sensoren und Kontrollinstrumente/Aktoren benötigt. Das Sensorsystem löst die im Aktuatorsystem gespeicherten Maßnahmen mit nahezu Echtzeitdaten aus. Natürlich müssen diese Daten zuverlässig/korrekt und ständig verfügbar sein. Neben den reinen Verkehrsdaten, z.B. aus Messschleifen in den Fahrspuren oder Floating-Car-Daten, werden von den Sensoren auch Umweltdaten und andere Einflussgrößen (z.B. Wetter) für ein umweltbewusstes Verkehrsmanagement erfasst.
Das Aktorsystem leitet dann die – oft in Modellen vordefinierten – Maßnahmen ein. Dazu gehören u.a. Ampelsteuerungen (Pförtnersteuerungen, grüne Welle, adaptive Steuerungen), dynamische Geschwindigkeitskontrollen oder auch die Änderung der Verkehrsführung (Wechselverkehrszeichen).
All dies ist häufig in regulatorische Maßnahmen eingebettet. Dabei handelt es sich beispielsweise um Parkgebühren, City-Maut oder Zugangsbeschränkungen.
Matt:
Ja, die notwendigen flankierenden Maßnahmen bei der Einführung eines ökosensiblen Verkehrsmanagements dürfen keinesfalls unterschätzt werden: Politischer Mut ist gefragt, denn es ist zu erwarten, dass in die uneingeschränkte individuelle Mobilität eingegriffen wird. Bürgerinformation und -beteiligung tragen dazu bei, die Akzeptanz zu erhöhen. Oft ist auch Beharrlichkeit gefragt, wenn es darum geht, für den Haushalt zu kämpfen und die internen Verwaltungen zu überzeugen. Anstelle des 10. Verkehrsgutachtens wäre es besser, ein Verkehrsmanagement zu implementieren und die Entwicklung zu beobachten und zu analysieren. Die Ergebnisse können für die laufende Optimierung genutzt werden. Manchmal planen wir uns zu Tode und vergessen dann zu handeln.
Was wären die größten Fehler bei der Einführung eines umweltfreundlichen Verkehrsmanagements?
Matt:
Man sollte nicht zu spät beginnen und bis zur Überlastung warten: Ein System, das bereits am Limit ist – oder das Limit bereits überschritten hat – reagiert kaum noch auf sogenannte „weiche“ Maßnahmen.
Frank:
Wie bei allen Projekten ist eine klare Definition der Ziele erforderlich, und alle Beteiligten müssen mit ins Boot geholt werden. Daten spielen eine Schlüsselrolle. Daher ist die Qualität der Daten unerlässlich. Je mehr Daten zur Verfügung stehen, desto besser können die Modelle trainiert und die Steuerung optimiert werden. Der größte Fehler wäre jedoch, die Umweltaspekte des Verkehrsmanagements nicht zu berücksichtigen. Auch hier können Sie mit kleinen Schritten beginnen.
Welchen Nutzen hat ein umweltbewusstes Verkehrsmanagement überhaupt?
Frank:
Man kann von einer nachweisbaren Verringerung der Luftverschmutzung ausgehen – im Falle von NO2 bis zu 40 %. (siehe EU Science Hub). Darüber hinaus – und nicht minder wertvoll – wird durch ein umweltbewusstes Verkehrsmanagement eine Fülle von Daten erhoben, die jederzeit für eine sektorübergreifende Nutzung, z.B. für die Planung von Baustellen, zur Verfügung stehen. So sind bessere und faktenbasierte Entscheidungen möglich, nicht nur im Bereich des Verkehrs.
Matt:
Umweltsensibles Verkehrsmanagement bringt uns auf die Straße: Es geht nicht nur um Technik und Algorithmen, sondern erfordert Akzeptanz und den Willen zur Veränderung. Ein guter Ansatzpunkt, um unsere Verantwortung für die Umwelt in die Praxis umzusetzen.
Welche Ansätze sollte es in Zukunft mehr geben?
Matt:
Wir sollten uns mehr auf bewährte Verfahren konzentrieren und nicht bei jedem Verkehrsmanagementprojekt das Rad neu erfinden. Dann können wir uns auch auf die kontinuierliche Verbesserung konzentrieren.
Die besten Ergebnisse lassen sich erzielen, wenn man über das Management des Individualverkehrs hinausgeht und die Mobilität neu überdenkt. Dazu gehören der klassische öffentliche Verkehr und innovative Konzepte wie Carsharing und Sammeltaxis.
Frank:
Insbesondere die geteilte Mobilität birgt ein großes Potenzial. Studien zeigen, dass der gesamte Individualverkehr einer Stadt mit weniger als 30 % der derzeitigen Fahrzeuge abgedeckt werden könnte, wenn diese gemeinsam genutzt würden und somit die Auslastung erhöht würde.
Wenn es um öffentliche Verkehrsmittel geht, denkt man normalerweise nicht an Spaß und Freude am Fahren“. Aber das muss nicht so bleiben. Wir müssen darüber nachdenken, was aus Marketingsicht notwendig wäre, um den öffentlichen Verkehr nicht nur unter Kostengesichtspunkten interessant zu machen, sondern ihn als attraktive und coole Alternative zu etablieren!